Es ist ein Urwald im Kleinen – bevölkert von Pflanzen- und Tierarten, die oft seltsame Namen tragen und den meisten Menschen völlig unbekannt sind. Auf der Zonser Stadtmauer hat sich dieser einzigartige Lebensraum im Laufe vieler Jahrhunderte entwickelt. Rund 30 verschiedene Moosarten sind hier zu finden. Darunter etwa das „Zarte Kleinschnabeldeckelmoos“, das in der Niederrheinischen Bucht lange Zeit als verschollen galt. Auch andere Kleinlebewesen zwischen den Steinen lassen die Herzen von Biologinnen und Biologen höherschlagen – wie die „Zahnlose Schließmundschnecke“, die nach mehr als 60 Jahren vor Ort wiederentdeckt wurde.
„Mit ihrer Artenvielfalt ist die mittelalterliche Stadtmauer von Zons überregional bedeutsam. Es lohnt sich, dieses Naturparadies in Miniatur zu erkunden“, sagt Thomas Braun von der Biologischen Station für den Rhein-Kreis Neuss.
Über die „lebendigen Mauern“ von Zons können sich alle Interessierten in Kürze am Eingang der Altstadt in Höhe des früheren Feldtors an der Schloßstraße informieren. In einer Gemeinschaftsaktion von Stadt, Biologischer Station, dem Zonser Denkmalschutzverein und der NRW-Stiftung ist dort eine Audiostation entstanden. Mit Hilfe einer Kurbel wird sie energiesparend ohne Stromanschluss in Betrieb gesetzt.
Zu erleben gibt es acht Hörstücke, die von der Autorin Marija Bakker bewusst lustig und unterhaltsam gestaltet wurden. Kinder und Erwachsene können zum Beispiel die „Schneckenschule“ besuchen, um mehr über die insgesamt 27 Schneckenarten auf der Mauer zu erfahren. Auch die wärmeliebende Pflanzengesellschaft mit Zimbelkraut, Mauerraute oder Streifenfarn wird in den Hörstücken leicht verständlich vermittelt. Ganz nebenbei erfahren die Passantinnen und Passanten etwas über die Stadtgründung im Jahr 1373 und die Kulturlandschaft rund um Zons.
Damit es nicht nur bei dem Hörerlebnis bleibt, befindet sich neben der Audiostation eine Schautafel. Sie stellt die Flora und Fauna in Bildern dar und bietet tiefergehende Informationen. Wer sich ein wenig Zeit zum Lesen nimmt, lernt zum Beispiel den „Donnerwurz“ kennen – ein sagenumwobenes Kraut, das einst vor Blitzschlag schützen sollte. Unter Karl dem Großen wurde deshalb angeordnet, den Donnerwurz auf Mauern und Dächern zu pflanzen.
Audiostation und Infotafel sind zum Abschluss der naturgerechten Sanierung der Zonser Westmauer aufgestellt worden. Die Instandsetzungsarbeiten, bei denen besondere Rücksicht auf Tiere und Pflanzen genommen wurde, sind im Januar 2023 zu Ende gegangen. Pünktlich vor dem Jubiläumsfest „650 Jahre Stadt Zons“ am zweiten August-Wochenende konnten nun auch die begleitenden Info-Medien fertiggestellt werden. „Mein herzlicher Dank gilt allen, die daran mitgewirkt haben – insbesondere Thomas Braun von der Biologischen Station und dem Zonser Biologen Norbert Grimbach, der schon seit den 1980ern intensiv den Lebensraum auf den Stadtmauern erforscht hat“, sagte der städtische Erste Beigeordnete Fritz Bezold bei der Eröffnung der Audiostation.
Für das Zonser Stadtjubiläum hat sich die Biologische Station übrigens noch eine Besonderheit einfallen lassen. An der Westmauer (Richtung Mühle) wird eine Hebebühne bereitstehen, mit der die Gäste zur Mauerkrone und dem früheren Wehrgang emporfahren können. Dort werden ihnen Biologen die Tier- und Pflanzenwelt aus direkter Nähe erläutern. Die ökologischen Erkundungstouren finden am Samstag und Sonntag (12./13. August) jeweils von 13.30 bis 16.30 Uhr statt.